WAS LÄUFT HINTER DER KAMERA?

Unfaire Machtverhältnisse in Filmproduktionen.
Filmschaffenden erzählen eigene Erfahrungen aus der Branche.

Die Autorin und Fotografin Tetyana Chernyavska interviewte die Filmschaffende über die komplexe und vielschichtige Machtverhältnisse bei der Filmproduktion und verschiedene Aspekte des Arbeitsleben in der Branche.

Am Ende stehen alle gemeinsam bei der Premiere auf der Bühne, lächeln und umarmen sich. Aber bis zu diesem Moment sind Monate, wenn nicht Jahre, schwerer psychischer und physischer Arbeit vergangen. Die Filmbranche ist bekannt für lange Arbeitszeiten, hohe Erwartungen und einen intensiven Arbeitsdruck. SchauspielerInnen, RegisseurInnen, ProduzentInnen und Crewmitglieder können unter diesem Druck leiden und letztendlich an Burnout oder Alkoholismus erkranken. Wie wichtig ist es, eine angenehme Atmosphäre zu schaffen und sorgsam mit sensiblen Momenten in der Zusammenarbeit an Filmprojekten, am Set oder bei internationalen Co-Produktionen umzugehen, um allen Teammitgliedern den kreativsten Raum zu geben? Müssen KünstlerInnen hungrig, gestresst und am Ende ihrer Kräfte sein, um sich voll zu entfalten? Wer bestimmt die Stimmung, und wie wichtig ist die respektvolle Zusammenarbeit und der Aufbau harmonischer Beziehungen mit der Crew und der Besetzung für die Regisseurin / den Regisseur?

Wenn die Emotionalität der Besetzung toleriert wird, wird dann genauso auf die Emotionen und Gefühle der Crew geachtet? Wie schwer ist es für einen kreativen Menschen, die Grenzen so zu setzen, dass sie/er den Job nicht verliert? Ist es möglich, eine Vertrauensperson am Set zu haben, die keine finanziellen oder geschäftlichen Verbindungen zur Produktion hat? Die als Ansprechpartner dienen kann, um Konflikte zu lösen, Fragen zu klären oder einfach nur als emotionaler Rückhalt für das Team zu fungieren. Ihre Anwesenheit kann dazu beitragen, ein gesundes Arbeitsumfeld zu fördern und das Vertrauen der Team-mitglieder in den Produktionsprozess zu stärken. Wie entspannen und regenerieren sich Filmschaffende nach Projekten? Wo schöpfen sie ihre Kräfte? Hat jeder seinen „Ort der Kraft“ oder andere Methoden, sich zu regenerieren?

Jan Philip Lange ist Filmproduzent und Herstellungsleiter in Raum Hannover und Bremen. Nach seinem Abitur besuchte er die Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“ in Potsdam-Babelsberg und diplomierte dort 2004 (Dipl. Film- und Fernsehwirtschaftler). Sed ut perspiciatis unde omnis iste natus error sit voluptatem accusantium doloremque laudantium, totam rem aperiam.

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Jule Körperich ist Rechtsanwältin und Trickfilmemacherin. Für Jule ist Film etwas, das Geld kostet, und ohne Förderung würde sie keine Filme machen. Jule wünscht sich Freiheit für die Umsetzung und Geld für die Produktion und Postproduktion. Sie findet sehr angenehm eine Förderung, die nicht reinquatscht, die positiv spricht und nicht Zeitdruck aufbaut. Besonders wichtig für Machtverhältnissen findet Jule die Kommunikation auf allen Erahne der Produktion. Wenn das Lebensunterhalt sichergestellt ist, dann kann man auch viel freier natürlich Kunst machen. Bei mir ist es so, ich habe noch einen anderen Job, der mich einigermaßen finanziert, aber der braucht auch Zeit. Ich bin ja auch Dienstleisterin in meinem anderen Beruf. Das heißt, wenn ich für Leute arbeite, gebe ich mir immer sehr viel Mühe, das gut und schnell zu machen. Und bei den Kreativen ist nicht so einfach mit dem „gut“ und „schnell“ und „immer“…

«Ich würde sagen, man kann auch Genie sein, ohne Arschloch zu sein. Bis zum #METOO wurden auch krasseste Übergriffe noch nicht mal öffentlich diskutiert. Jetzt sind wir schon ein Schritt weiter.»

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Mit Sicherheit gibt es Machtverhältnisse, die auch zu einem Ungleichgewicht führen, sagt Elke. Auch zwischen Männern und Frauen. Immer noch. Ich würde sagen, im Spielfilm ist das noch mal eine ganz andere Nummer. Ich arbeite im Dokumentarischen, das heißt, ich bin die Regisseurin, oft auch die Produzentin, habe ein Kameramensch dabei, der in den letzten Jahren immer ein Mann war und jemand, der Ton macht. Das heißt, wir sind so relativ paritätisch aufgestellt und ich würde gar nicht bei uns von Hierarchien sprechen, sondern von unterschiedlichen Gewerken, die sich gegenseitig befruchten. Ich würde mich jetzt nicht über meinen Kameramann stellen, einfach nur aus dem Grund, weil ich Regie mache. Natürlich habe ich im Zweifelsfall das letzte Wort, was aber auch daran liegt, dass ich ein künstlerisches Projekt umsetze nach meinen Vorstellungen. Aber ohne ihn würde es nicht zustande kommen. Und ich glaube, das muss man wissen, dass man ohne all jene selbst beim Spielfilm, der letzte Kabelträger, trägt dazu bei, dass dieser Film entsteht. Aber ich würde einfach sagen, dass es nicht um Hierarchien geht, sondern die Grenzen durch die Gewerke gesetzt wird. Also wenn es an einen Punkt kommt, wie jetzt etwas umgesetzt wird, meine Aufgabe ist, als Regisseurin meine Position durchzubringen und seine Aufgabe als Kameramensch, und dann gibt es noch den Tonmann, der auch noch was zu sagen hat und natürlich in erster Linie die Protagonistinnen.

Die Macht haben die Protagonistinnen – sagt Elke Lehrenkrauss. Weil es ein Film über sie ist und was sie nicht im Film haben möchten, das kann da nicht gedreht werden. Gleichzeitig, ist es auch meine Aufgabe, Protagonistinnen von Dingen zu schützen, die ihnen in Zukunft schaden könnten. Es ist unser beider Aufgabe, während des Drehprozesses zu sagen „Stop!“. Manchmal spüren die Protagonisten erst am nächsten Tag, dass sie sich von mir überrennen lassen haben. Das sind immer harte Momente für mich, wo ich denke „Oh!“. Das ist dann so eine Selbstkritik, wo ich dann spüren muss: „okay, jetzt gehst du zu weit“. Gleichzeitig, es sind immer so diese Momente, wo ist die „rote Linie“? Die fängt ja so ein bisschen rosa an, und wird dann immer roter, und irgendwann ist halt „Stop“. Und man muss aufpassen, dass die Protagonisten nicht missbraucht fühlen. Gleichzeitig muss man Grenzen austesten, weil der Film sonst irrelevant wird. Wenn man nur Irrelevantes vor der Kamera verhandelt, wie sich jemand Brot schmiert, oder wo nichts verhandelt wird, was von irgendeiner Bedeutung und Dramatik, oder der Emotionalität ist. So muss man auch keinen Film machen. Und das ist sehr, sehr schwierig. Das sind die ganze Zeit Aushandlungsprozesse. Da muss ich auch aufpassen als Regisseurin, dass ich diese Linie nicht überschreite, bzw. wenn ich sie überschritten hab, mich wieder zurücknehme und gewisses Material nicht in Film reinnehme, um die Protagonistin zu schützen.

So war es zum Beispiel bei „Lovemobil“ – mit bestimmten Protagonistinnen dann einfach gar nicht zu drehen. Weil man weiß, dass in ein paar Jahren, wenn dieser Film fertig ist, genau diesen Menschen auf die Füße fallen wird. Dann hat man ein Problem. Dann muss man sich entscheiden: zeig ich diesen Film trotzdem, wissend, dass ich mit diesem Film ein Menschenleben zerstören könnte. Aber man hat ja einen Film gemacht und will, dass der gezeigt wird. Oder man zeigt den nicht. Und dann hat man ein Film gemacht, den man nicht zeigen kann. Und ich glaube, so was muss man vorher wissen. Bevor ich „Lovemobil“gedreht habe, habe ich einen Film gedreht, den ich im Anschluss nicht fertig machen konnte. Das war über meinen damaligen Freund, der Kubaner war, der illegal das Land verlassen hat. Seine Familie war aber noch in Kuba und ich habe zusammen mit einer Freundin ein Film über ihn und seine Flucht gedreht. Wäre dieser Film an die Öffentlichkeit gekommen, bei einem Filmfestival gelaufen… Hätte es die Gefahr gegeben, dass seine Familie dadurch Repressionen bekommen hätte. Und da muss man entscheiden. Weil am Ende ist der Mensch wichtiger als der Film. Und das war ein sehr, sehr schmerzhafter Lernprozess, weil es viel Arbeit gemacht hat. Viel, viel Arbeit. Zwei-drei Jahre Drehs, Schnitt usw…. Aber das lernt man halt.

«Was Machtverhältnisse angeht, habe ich bei „Lovemobil“ - Skandal gespürt, wer die Macht hat und wer das Narrativ besitzt. Und das sind die Medien - die die Sichtbarkeit und die Plattform haben, Dinge so zu erzählen, wie sie es gerne hätten.»

Aus dieser Erfahrung habe ich dann bei „Lovemobil“, zum Beispiel, wohlwissend dessen, dass eine Protagonistin später nicht im Film erscheinen können wird, sie durch eine Darstellerin ersetzt. Das war für mich der Grund, um die zu schützen. Das Wissen, dass, wenn ich mit dieser einen Person jetzt drehen würde, ihr dadurch das Leben schwer mache oder den Film unmöglich mache. Oder etwas drehe, was ich später einfach nicht mehr vertreten kann, was auch so an sich Überheben über das was die Lebensgeschichte anderer Personen bedeuten würde.
Und damals fand ich es, und ich finde es immer noch, eine gute Idee, wenn man dann in die Abstraktion geht und sagt okay, das ist so im Direkten nicht zeigbar, aber was gibt es für Wege, es anders darzustellen? Deshalb, finde ich das, was ich gemacht habe bei „Lovemobil“ in aller Konsequenz richtig. Interview weiterlesen….

Simone Geißler ist Schauspielerin, Drehbuchautorin und Regisseurin. Für Simone ist es sehr wichtig, gleichgesinnte am Set zu haben. Es geht beim Film schon so los, dass Kamera, Regie, Produktion und vielleicht noch Licht und Ton, die ganzen Vorarbeiten machen. Da wird schon ein Grund geschaffen, das Fundament. Und dann kommt das restliche Team und Cast und Crew dazu. Ich glaube, es gleichberechtigt werden zu lassen wird schwierig. Weil da gibt es schon eine Abteilung, die haben das alles erarbeitet. Und dann kommt der Rest, die Lücken zu füllen und das was vorgearbeitet wurde mit zu anheben. Simone findet, es darf nie sein das weil jemand die Vorarbeit geleistet hat, oder eine wichtigere Position hat, jemanden anders anschreit, diskriminiert oder klein macht. Oder irgendwas an dieser Person auslässt. Es geht gar nicht. Also wenn jemand unzufrieden ist, dann passiert das leider sehr oft. Es ist schwer so eine komplette Gleichberechtigung hinzubekommen. Ist finanziell auch gar nicht möglich. Wäre alle von Anfang an da mit reinzuziehen. Manchmal ist es auch ganz gut, wenn jemand so den Überblick hat. Wie im Kindergarten, sagt: „Da geht es jetzt lang“. Oder auch, wie man so sagt, zu viele Köche verderben den Brei. Kann manchmal auch passieren, dass wenn man so eine Vorstellung hat und keine Zeit mehr hat: und dann kommt der Vorschlag, noch der Vorschlag, noch der Vorschlag… und man dann sagt „okay, wir machen das jetzt so“. Klar man kann das ausdiskutieren, es ist aber ein Zeitfaktor und auch ein Team-Faktor. Wie weit ist das Team schon involviert oder nicht…

Simone meint, langer Dreh, kann die Menschen zum Monster werden lassen.
Ich finde, Regie und Kamera sollen immer zusammen gut funktionieren. Das habe ich bei mir gesehen. Wir haben uns immer wieder auf den gleichen Nenner gefunden. Nicht das einer gesagt hat, „ich mach das jetzt so“ oder wir gesagt haben: „du machst das jetzt so“… Sondern wir haben darüber lange gesprochen oder uns zusammengesetzt, um einen Plan zu führen.
Natürlich gibt es Schauspielerinnen, die ihren Status ausnutzen, und gegenüber der Crew richtig scheiße werden. Das finde ich gar nicht gut. Ich versuche ja immer allen „Hallo“ zum Beispiel auch zu sagen, wenn ich an Set komme. Egal, ob das jemand ist, der Praktikum macht oder eben der Oberbeleuchter. Es ist manchmal schwierig, du kommst gar nicht richtig durch. Oder wenn du es halt machst, dass dann die Leute total irritiert sind.
Das hatte ich beim letzten Dreh, vor ein paar Wochen Da habe ich dem Beleuchter gesagt: „Hallo, ich bin die Simone“… da war schon weg. Ich habe ihn angeguckt, aber da war er an mir vorbei. Und ich weiß natürlich nicht, was hat er erfahren oder wie ist er jetzt gerade drauf?

«Im Moment achte ich immer darauf, bei jedem Filmangebot, ob diese Sexszene eine Berechtigung hat. Man kann was intimes anders verpacken, man muss das nicht ausschlachten. Das würde ich zum Beispiel nicht mehr machen.»

Ein Beispiel… Es ist auf jeden Fall eine bekannte Produktion gewesen. Das Team war nicht sehr groß, aber alle waren in dem Raum. Wir haben in Hochhaus gedreht. Ich, eine Schauspielerin und zwei Schauspieler – wir waren halt nackt. Und natürlich alle anderen eben nicht, der Rest. Wir waren bekifft, also wir haben geraucht und es war so, diese andere Atmosphäre, so ein bisschen rummachen… Es war so ein großer großer Raum, wo hinten Bett war und vorne war Sitzecken. Die anderen saßen alle da hintenund haben uns angegiert. Also. Ich hab dann einfach versucht, Augen zu und durch. Und das ist, was ich jetzt nicht mehr machen. Interview weiterlesen….

Rainer Ludwigs, der Regisseur und Filmemacher aus Ottersberg. In Interview erzählt Rainer, dass der freie Mitarbeiter, anders als ein festangestellter Mitarbeiter, wird stets das Letzte an Leistung aus sich heraus holen. Dieses schafft hohes Potenzial für ungesunde Machtverhältnisse, d.h. diese Maximalleistung uneingeschränkt voraus zu setzen, einzufordern und den Druck bis in die unteren Hierarchieebenen weiter zu geben. Und der Missbrauch ist dabei nicht nur auf ein Machtgefälle zwischen den Geschlechtern beschränkt. In den letzten Jahren sind die Produktionsbedingungen eher immer schwieriger geworden. Wichtige Voraussetzungen für Freiberufler wie Altersvorsorge, Gesundheit am Arbeitsplatz, Urlaubszeiten, planbare finanzielle Rahmenbedingungen bleiben dabei auf der Strecke.

«Durch die hohen kosten einer Filmproduktion steht der leitende Stab einer Film-Crew steht unter hohem Erfolgsdruck.»

Von sich selbst ausgehend kann Rainer behaupten, dass der kreative Output umso höher ist, je weniger Druck am Set bzw. auch in der anschlißenden Postproduktion herrscht. Denn hier gehen die kreativen Leistungen weiter: Der Schnitt, die Musik, die Vertonung, die visuellen Effekte, Animation und Grafik. Auch hier gibt es überall Ansätze eine kreative Atmosphäre zu fördern oder zu beeinträchtigen. Dabei geht es nicht nur um kreative Freiheiten sondern auch um budgetäre Vorgaben, die sehr oft bei den Ausführenden in die Selbstausbeutung münden.
Dies müssen sich Filmproduzenten und mehr noch die Fernsehsender, die hier in Deutschland leider immer stark auch in die Kinofilmproduktion involviert sind, immer wieder vor Augen führen.

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Annette Ortlieb ist Dokumentarfilmerin aus Bremen. Welche Macht gebe ich als Regisseurin ab? – fragt sich die Regisseurin. Ich finde, das ist ganz feingliedrige Geschichte. Grundsätzlich, ist meine Haltung so, je gleichberechtigter wir alle arbeiten, desto bessere Ergebnisse raus kommen. Ich denke, ich muss anderen auch ihre kreative Freiheit geben, auch wenn ich ja manchmal schlucke. Ich finde es wichtiger, in das Vertrauen zu gehen und in ihrer Gegenwart ihre Freiheit zu geben, um gut arbeiten zu können. Und wenn es schon spät ist und wir brauchen das jetz – nun müssen wir das jetzt durchziehen. Aber ich denke, auf einer gleichberechtigten Grundlage sind dann solche Sachen auch realisierbar oder da gehen die anderen auch mit. Ich möchte als Regisseurin keine Macht haben. Ich möchte Respekt haben, das wir alle respektvoll miteinander umgehen. Und gemeinsam Lösungen finden. Und trotzdem bin ich diejenige, die die Dinge haben will und die die Dinge braucht, auch um den Film zu erzählen. Und je klarer ich da drin bin, desto leichter, ist es dann auch für mich.

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